Zum 76ten Geburtstag von Joni Mitchell (Text aus der ZEIT, Nov. 2018)
Als ich Joni Mitchell das erste Mal traf, war sie ein langhaariger junger Mann in Cordhosen. Alle Künstler, die ich als Teenager kennenlernte, waren junge Männer in Cordhosen –begegnete ich ihnen doch nie direkt, sondern ausschließlich in der Inkarnation Gitarre spielende Freunde, auf dem Boden sitzend, im Park. Hier: ein Freund, der missionarisch versuchte, mir “A Case of You” beizubringen, obwohl ich den Song nie gehört hatte. Und so funkte es nicht zwischen Joni und mir. Die Cordhose stand ihr nicht, und generell wollte ich über die sanften, jungen Cordhosenmänner lieber wütendere, interessantere junge Männer wie Dylan und Neil Young kennenlernen.
Irgendwas war mir suspekt an der schwärmerischen Jünglingshingabe an die ultrafeminine, komplexe, unanständig nackt erscheinende Joni. Und die Frauen– es gab nicht viele, in Freiburg im Park – die hin und wieder ins Schwärmen einfielen, waren Sängerinnen. Mit Ehrgeiz und Noten lesen und Jazzunterricht, und das mochte ich nicht.
Kurzum: schon mit fünfzehn reagierte mein Amateurherz empfindlich auf den “muckerigen” Enthusiasmus für Jonis musikalisches Genie. Außerdem wollte ich meine Gitarre nicht umstimmen.
Joni Mitchell, die Malerin mit Worten und Noten, ist ein “Musician´s Musician.” In Tourbussen überall auf der Welt spielt man sich gestikulierend “Hejira” vor, bei kaum einer anderen Künstlerin geraten Musiker so in Wallung. Zeitgenossen wie Crosby, Stills & Nash, Leonard Cohen, James Taylor – die zu unterschiedlichen Zeiten unterschiedlich nah zu ihren Füßen saßen – überschlugen sich in Lobpreisungen. Von Allen findet sich im Netz das nahezu deckungsgleiche Zitat: “Joni Mitchell is a – Kraftausdruck ihrer Wahl – genius!”
Ich war nicht beeindruckt. Doch dann kam, als Geburtstagsgeschenk: For the Roses. Ich spielte das Album auf Repeat, in fiepsigem Teenagersopran mitsingend, während mir hormongetränkte Tränen die rundlichen Wangen herunterliefen.
Wer sich an meine Eloge auf Dolly Parton erinnert (gleicher Ort, andere ZEIT), mag vermuten: die Holofernes hat ein Ding mit zwitschernden Frauen. Das stimmt. Zwitschernde Frauen und ich, wir gehen weit zurück –genau bis zu jenem Geburtstag. Niemand hat mir so viele, Jahre überdauernde Ohrwürmer verpasst, wie Joni Mitchell. Wenn ich traurig bin, höre ich Joni. Wenn ich gute Laune habe, höre ich Joni. Beim Aufräumen höre ich Joni. Beim Singenüben singe ich Joni. Ich habe Schwierigkeiten, diesen Text fertig zu schreiben, weil ich ständig in zwanghaftes Zwitschern verfalle.
Dabei widersprechen die meisten ihrer Songs allen Ohrwurmregeln. Schon allein, weil sich kaum je ein Songteil wiederholt. Wenn Musiker ihre Songs covern wollen, vergehen Stunden, bis man sich geeinigt hat: das ist der Refrain. Das Geheimnis: jeder ihrer fünf Songteile ist stärker als die Refrains anderer Leute. Und so habe ich, eine Woche lang, einen Ohrwurm vom Intro von “Banquet”. In der nächste dann von dem, was man bei “Amelia” für die Strophe halten würde, in der darauffolgenden ist es eine einzelne Zeile von “Carey”.
Je länger ich Jonis Platten höre, um so mehr liebe ich sie. Jetzt, nach fünfundzwanzig Jahren Fanseins, ertappe ich mich, wie ich fuchtelnd auf Wehrlose einrede, mit dem entfesselten Eifer der Cordhosenteenager von damals, und versuche, ihnen Jonis Genie zu erklären:
Ihre Songs mitzusingen, ist nah dran an den besten Drogen, die ich nie genommen habe. Ihre Stimme fliegt über die unerhörten Akkorde wie eine Schwalbe vor dem Gewitter. Ihr Timing ist unglaublich, sie verteilt ihre Texte so beiläufig, schleifend und hüpfend, wie absichtslos über den Takten, dass es scheint, als erzählte sie plaudernd ihr Leben. Erst in der geschriebenen Form zeigen sich ihre Texte als makellose, souveräne und geschliffene Poesie.
Die Texte, die spätestens seit “Blue” immer wieder als “confessional,” also “bekennerisch” bezeichnet wurden, sind vor Allem: klug, lustig, poetisch, tiefgründig und herzzereißend.
Oh, und: sie ist eine der innovativsten, groovigsten Gitarristinnen der Popgeschichte, sie hat Akkorde erfunden, für die sie Musiker wie Herbie Hancock, Pat Metheny, Jaco Pastorius… Abgeschüttelt? Egal.
Ich folge Joni auf jedem Schritt ihres Weges, und mit jeder Umdrehung, jedem Schwalbensinkflug, vertieft sich meine Liebe. Und ja, ich habe die Biografien gelesen, die es schwer machen, die jetzige Joni für eine freundliche alte Dame zu halten. Sie, die jede Wolke nun wirklich von oben und unten gesehen hat, scheint Wolken – und Mitmenschen – heute meist schräg von der der Seite anzusehen.
Die neue Biografie, “Reckless Daughter” von David Yaffe ist ein Liebesbrief, und stellt das Fanherz doch auf die Probe. Gerade weil der Autor seine Joni so offenkundig liebt, und dann, in den letzten Kapiteln, so darum kämpft, noch gute Worte zu finden – für die Bitterkeit und Paranoia, die aus neueren Interviews spricht.
Aber: man darf nicht nur lesen, sagt er. Man muss, wo man kann, noch hingucken – was nicht einfach ist, da sich Frau Mitchell fast vollständig unsichtbar gemacht hat. Yaffe empfiehlt, sich die seltenen Interviews, zum Beispiel mit der CBC von 2013, auf Youtube anzuschauen. Dort sieht man eine wunderschön gealterte, strahlend machtvolle, erfurchtgebietende und furchtlose Künstlerin, der, während sie Dylan lustvoll als “… just not a good musician – he hasn´t written a song in years!” abwatscht, der Schalk aus allen Poren tropft.
Was ich noch gelernt habe, und vorsichtig ins Gesamtbild einbauen muss: mein Lieblingsalbum Hejira, so weise und wahr und wunderschön, ist zu großen Teilen unter massivem Kokaineinfluss entstanden. Eine Begegnung mit Chögyam Trungpa, dem “Bad Boy des Buddhismus” und ein Erweckungserlebnis haben mit reingespielt, immerhin, aber auch… Koks, Koks, Koks. “Amelia” ist nicht von Allein so hoch geflogen.
Nach jahrelanger Enthaltsamkeit, umringt von den schlimmsten Drogenopfern ihrer Generation, war es Dylans “Rolling Thunder Revue”, die Jonis Nase vor Erschöpfung und Frust ins weiße Pulver kippen ließ. Und die “White Lines of the Freeway” aus “Coyote” waren, nun ja, nicht nur Fahrbahnmarkierungen. Und Joni widmete sich, an der Seite von Koyote Sam Shepard, ihrem neuen Hobby in einer Gründlichkeit, die noch den freundlichsten Hippie in einen ausgehöhlte Seelenzombie verwandeln muss.
Man addiere eine Kindheit in Krankheit und Einsamkeit – die Eltern steckten sie mit acht Jahren in ein Polio -Lager und ließen sie dort monatelang allein. Mit einundzwanzig dann eine fiese Ehe, eine heimliche Schwangerschaft und ein Baby, das sie zur Adoption freigeben musste. Danach: eine verpasste, gute Liebe (Graham Nash) und einige verpatzte, schlechte. Früher Ruhm , Musikgeschäft, eine Reihe businessüblicher Enttäuschungen, zeittypischer Sexismus – der Rolling Stone krönte sie ‘71 zur “Queen of El Lay” (Wortspiel mit L.A und flachlegen), nachdem sie mit fünf bekannten Musikern liiert war, seriell monogam, was etwa einem Dreißigstel der Geschlechtspartner ihrer männlichen Kollegen entsprochen haben dürfte. Freie Liebe gab es nur für die Männer, sagt sie.
Ab den 90er Jahren dann ein Leben in chronischer Krankheit. Ein Polio –Rückfall mit Anfang fünfzig, dann ein rätselhaftes Leiden der etwas ätzenderen Sorte – Morgellons, eine kontroverse Krankheit, die unter anderem dazu führt, dass man das Gefühl hat, es wüchsen einem Kunststofffasern durch die Haut.
Alles in Allem kann man da schon mal ein bisschen biestig werden. Meine Liebe ist ungebrochen, und mein Wunschdenken sagt mir, dass Joni launemäßig die Kurve kriegt. Nach einem Schlaganfall 2015 geht sie zwar kaum noch aus dem Haus – aber sie malt und schreibt und scheint an einem Buch zu arbeiten. Und wenn aus ihren Interviews eine Kränkung spricht, ein Zuwenig im ganzen Zuviel, vielleicht können wir Fans ihr dann, zum Geburtstag, alle Joniliebe aus dem Universum zusammenrufen und als autoritatives “Judgement of the Moon and Stars” nach British Columbia schicken, damit sie uns endlich glaubt: “Joni, du bist ein – Kraftausdruck ihrer Wahl– Genie!”
*Erstmals abgedruckt in der ZEIT zu Jonis 75ten Geburtstag im November 2018