Notizen aus Kreuzberg/ der Versenkung (8)… Don´t call us, we´ll call you
Ich sitze unbescholten in meinem liebsten Kreuzberger Café, trinke Kaffee und arbeite heimlich, mit Kopfhörern auf dem Kopf, vor mich hin. Zuhause sind immer diese Kinder. Und ich musste, nachdem ich etwa ein Jahr lang an meinem heimischen Arbeitszimmer herumlaboriert habe, einsehen, dass ich (man?) zuhause nicht arbeiten kann. Super. Jetzt sitze ich hier, und das funktioniert auch gut, außer wenn die Musik a.) zu laut, b.) zu gut, oder c.) das Nachbargespräch zu c.1) interessant bzw. c.2) unsäglich ist.
In diesem Fall: erst eher milde interessant, dann unsäglich. Aus dem Ohrenwinkel überhöre ich zunächst folgende Gesprächsschnipsel:
„So, why do you think you should come and work for us…“
„Well, actually, I think I´m very qualified…“
Aha. Bewerbungsgespräch. In meinem Lieblingscafé? Also bitte. Hier kommt man doch nicht zum Arbeiten hin. Was soll das denn.
Irgendwas in der stimmlichen Textur des Interviewenden macht, dass ich trotz subtilen Ekels nicht weghören kann. Aus dem Augenwinkel sehe ich einen kreuzberguntypisch coiffierten Hinterkopf, bin mir aber sicher, dass das nur ein hyperbewusstes Detail eines post –coolen, sehr kreuzbergtauglichen Gesamt –Style –Kunstwerkes sein kann. Vis a Vis des Gesamkunstwerkes sitzt ein hippes, junges, selbstbewusstes Kreuzberg – Exilanten – Mädchen irgendwo zwischen Touristin und Armutsflüchtling –wahrscheinlich also Großstadtspanierin.
Und jetzt passiert etwas Interessantes- die Bewerberin wird frech.
„Actually, I wanted to ask you a few things first.“
What???? Denke ich, und auch der Interviewer reagiert gelinde ungehalten. Ich sehe ihn nur von schräg hinten, aber seine Körpersprache spricht Bände: er lehnt sich zurück, Hände hinter dem Kopf verschränkt und öffnet die anzugbehosten Beine zu einer sackbetonten Dominanzgebärde.
Fröhlich und völlig unangemessen selbstbewusst – so sagt es des Arbeitsgebers Sack – fängt das Mädel an zu referieren. Sie sei ja eigentlich schon rather overqualified for a simple Praktikum, und ob es denn an der Bezahlung was zu rütteln gäbe, weil, you know, mal ehrlich?
Und innerhalb eines fünf Minuten –Gesprächs darf ich nun unfreiwillig Zeugin der gesamten Igittness des modernen Arbeitsmarkts sein, dem linkshändigen Brechen eines aufgeweckten jungen Menschen, dem Zerplatzen der IT –Blase im Kopf jenes sympathischen Mädchens.
Der Sack, er sagt nichts. Das Mädchen, es fängt an zu faseln. Der fröhlich –forsche Ton vom Anfang des Gesprächs weicht zunächst einem entgleist –forschen Umkopfundkragengestammel, dann geknicktem Geseier, dann… Schweigen.
Dann.: „We´ll call you“
Das Mädchen sagt.:“ Well, at least it´s good to be honest, right?“
Der Hinterkopf sagt: Nein. Und schüttelt ihre Hand.
Das Mädchen, etwas weniger Touristin, etwas mehr Armutsflüchtling, verlässt das Café.
Keine fünf Minuten später betritt ein weitere junge Frau, diesmal eine Asiatin, das Café. Der Interviewer hat offensichtlich beschlossen, in seiner zurückgelehnten Sackhaltung zu verbleiben und streckt nur ächzend die Hand zum Gruß aus. Der macht hier einen Bewerbungsmarathon! In meinem Café! Unter meinen Kopfhörern brodelt es, ich überlege, ob ich das Thekenpersonal auf meine Seite ziehen könnte und ob wir in der Küche genug Zutaten für einen anständigen Farbbeutel finden würden.
Dieses Mädchen ist nicht frech, aber sie kann kein Englisch, so richtig. Sie ist wahrscheinlich saumäßig überqualifiziert für sein Praktikum, mal ehrlich, aber: who gives a shit. Ich kann dem Hinterkopf dabei zuschauen, wie er innerhalb von zwei Minuten das Interesse verliert. Das Gespräch tröpfelt noch gequälte fünf Minuten weiter vor sich hin, dann beugt sich Herr Sack mitten in einer der gestammelten Bewerbungsfloskeln nach vorne und gibt der jungen Frau die Hand.
We´ll call you.
Beim nächsten Gespräch kramt Herr Bossmann lustvoll in seiner ledernen(!) Aktentasche(!) und zieht einen dünnen Stapel Blätter hervor. Und beginnt, vorgescriptete Bewerbungsgesprächfragen abzulesen, direkt nach dem Hallo. Die aufregend be –afro –te New Yorker IT –Spezialistin ihm gegenüber wird so blass, wie sie kann, beantwortet aber für schmerzhafte zehn Minuten seine Fragen. Bei „What do you think it is you can bring to our enterprise“ aber stellt sie ihre Kaffeetasse ab und sagt „You know what, I don´t think this is going so well.“ Und „I´ll pay for my coffee.“ Word! Ich applaudiere stumm, während sie wippenden Haares die Lokalität verlässt.
Der IT –Bläser bleibt sitzen, und trinkt selbstgefällig seinen Kaffee aus. Jetzt! Denke ich. JETZT STEHEN ALLE AUF, UMRINGEN IHN UND SINGEN IRGENDWAS VON TON, STEINE, SCHERBEN!!! Ein Flashmob gegen die unsägliche Arschigkeit des Hipsterkapitalismus! Wo sonst, wenn nicht in einem Kreuzberger Café?
Dann steht er auf, der Mann, und ich sehe ihn von vorne. Der Mann ist kein Hipsterarsch. Der Mann ist, nach allen mir bekannten Fashioncodes, nur ein Arsch. Und ich, die ich ansonsten ernsthafte Probleme mit der grassierenden „Kreuzberg den Kreuzbergern“ –Mentalität unter aufgeweckten jungen Menschen habe, stehe auf, renne in die Küche, greife mir eine Sprühsahne, und spraye „Yuppies raus“ über das Frontfenster des Cafés. Dann schleife ich Herrn Sack am Selben vor die Tür. Und das ganze Café hinter mir stimmt unisono mit ein als ich ihn mit den Worten: „Don´t call us, we´ll call you“ verabschiede.
P.S: ein paar meiner Notizen aus Kreuzberg gibt´s jetzt auch im neuen Merian Berlin Heft. (Klicken Sie unten). Mit schicken Fotos von mir vor psychogener Tapete. Ja, das ist mein Arbeitszimmer, und ja, ich mag das so, ich kann mich da wirklich gut konzentrieren. Das ist nicht der Grund, warum ich in Cafés flüchte.
Im Heft finden sich ein paar Ausschnitte von Notizen , die ihr schon kennt, aber auch einige neue, darunter diese hier oben. Viel Spaß!