
Drei neue Texte: Notizen aus der Versenkung/ Kreuzberg (9 bis 11)
Notizen aus der Versenkung/ Kreuzberg (9)… Love is blindness
Bei uns in der Gegend flaniert täglich eine Frau mit ihrem, ähm, Hund. Die Frau trägt eine forsche Glatze, bevorzugt einen forschen Schritt und einen eher unwirschen Gesichtsausdruck. Der Hund hingegen scheint ein freudiges Wesen zu haben und trägt Invers -Glatze: er ist am ganzen Körper nackt und hat auf dem Kopf eine explodierte Fraggle –Frisur. Mich fasziniert der Hund, da ich als Hundeallergikerin und –Fanatikerin ihn sofort als Nackthund erkannt habe, und er gar nicht mal sooooo scheiße aussieht. Also bin ich neugierig. Eines Tages trete ich der forschen Frau entgegen und behaupte, der Hund sei süss. Was das denn für einer sei. Die Frau blafft, lauter als das Hundchen es könnte: „SÜSS? ALSO; DARUM GEHT ES JA WOHL NICHT!!!“ Ermmm. Offensichtlich. Ich stammele noch irgendwas von „Allergikerin … aber liebe Hunde…“, aber die Frau unterbricht mich schroff: „ES KOMMT DOCH DARAUF AN, DASS MAN DAS TIER LIEBT!!!“ Ja. Äh. Wollte ich ja. Ich meine: würde ich ja! Die Frau zieht ihren Fifi, der inzwischen leicht schamesrosa um die nackte Nase scheint, an der Leine zu sich, macht auf den spitzen Schuhen kehrt und lässt mich ähnlich nackt und fragglefrisurig wie ihren Schatzi am Ufer stehen. Ich entscheide mich für die plausibelste Erklärung – die Frau hat einfach aus lauter Gewohnheit das gehört, was sie in Bezug auf ihren Hund viel öfter gehört haben muss. „Woaah!! Was ist das denn!!!“
Inzwischen weiß ich übrigens, dass Nackthunde für Allergiker schlimmer sein können, als angezogene Hunde, weil man auf Hautschuppen reagiert und nicht auf das Fell. Und so ein Fell, wenn man eins hat, hindert wenigstens die eine oder andere Schuppe am rieseln. Puh. Doch keinen Fraggle für mich.
Notizen aus der Versenkung/ Kreuzberg (10)… Von Level zu Level
Pola hat gerade die Spracherkennung seines neuen Handies entdeckt und mir soeben vom Fahrrad aus die folgende Nachricht geschickt: „Ich fahre jetzt mit Mimi und Marteria nach hause.“ „Mimi“ so wie in „unsere kleine Tochter,“ Marteria so wie in „der Berliner Rapper.“ Alles klar. Okay. Kann ich mir vorstellen. Mit Sicherheit springen die beiden jetzt gerade zuhause bei uns von Level zu Level zu Level. Hmmmm. Das würde Mimi allerdings auch mit ihrer kleinen Freundin Matea machen. Ich entscheide mich mal für die Vorstellung, die mir besser gefällt – und verneige mich stumm vor der Vorstellungsgabe der schwedischstämmigen Frau, die in Polas Handy wohnt. Vielleicht ist sie, die überlegen säuselnde Siri, ja auch der von Marteria besungene Endboss. Das würde erklären, warum sie über so vieles Bescheid weiß, aber auch so unflexibel ist. Mal Madeira fragen, falls ich ihn mal treffe. Madeira? Madeira ist wiederum der Kosename, den sich mein Autokorrekturdings im Computer für Marteria ausgedacht hat. Faszination Technik.
Notizen aus der Versenkung/ Kreuzberg (11)… Bless you, Huhn
Blethhuhn!!! Schreit meine Tochter, und zeigt aufgeregt auf einen schwarzen kleinen Vogelhintern, der aus dem brackigen Wasser des Landwehrkanals hervorguckt. Was klingt, als würde ein hustender Amerikaner einem verschnupften Amerikaner „Gesundheit“ wünschen, ist tatsächlich eine korrekte Feststellung. Ja, das ist ein Blesshuhn, mein Kind, und du hast es am Hintern erkannt. Das ist sehr schön. Da soll mir noch mal einer sagen, er wolle auf´s Land, damit seine Kinder in der Natur aufwachsen. Wie ich an anderer Stelle schon erwähnte: meine Kinder wohnen in Kreuzberg in Ufernähe und können mindestens zwanzig Vogelarten unterscheiden. Darunter Reiher, Graugänse und, na ja, Blethhühner. Und letzten Winter habe ich auf dem zugefrorenen Kanal 40 herumschlitternde, konsterniert dreinblickende Schwäne gezählt. Das einzige, was noch fehlt, wenn es nach dem Töchterlein gehen würde, wären: Pingehuhne. Und jetzt kommst du.